Eins vorneweg: wir haben seit dem Ablegen in Travemünde am 23.12. kein Internet (außer heute an einer Tankstelle) und ich (Silke) opfere gerade mein mobiles EU Roaming Datenvolumen, um diesen Post online zu stellen. Unsere Übernachtungsmöglichkeiten sind meist Holzhütten, in denen es zwar den Luxus von Strom, aber eben kein Internet gibt! Der Text, den Ihr hier lest, ist 200km alt. Wir sind jetzt schon in Pudasjärvi, 159km vor Rovaniemi bei -18 Grad.
Als wir zusammen mit Bernd am 23.12. im Hafen Travemünde mit Kluti ankamen, war die Überraschung groß: Freunde von uns hatten sich auf den Weg gemacht, um uns zu verabschieden! Und sie waren Retter in der Not: ich hatte Riesenhunger und das Abendessen auf der Fähre war noch lange hin. So fingen Manu und Dörte ein Grillhuhn, während wir die Motorräder ausluden, bei Pet noch schnell den Öltemperatursensor austauschten, das Gepäck aufsattelten und uns anzogen. Ein Weißrusse mit seinem LKW war neidisch auf unsere Spikes. Er wartete auf die Fähre nach Norwegen und hatte noch nicht mal Winterreifen.
15698306_1320011291373958_1593003910055854278_nMeine ersten Meter auf Spikes fuhren sich wie feiner Schotter, auf der Metallrampe zur Fähre und in der Fähre selbst auch nur wie Rollsplit, also kein unbekanntes Fahrgefühl. Auf der Fähre durften wir die Moppeds selbst verzurren – und im Gegensatz zu unserem letzten Fähr-Erlebnis gab es dafür auch geeignete Gurte. Die vier extra dafür mitgebrachten Zurrgurte waren überflüssig.
img_0417-kopieUnsere gebuchte Innenkabine hatte nur zwei von einem breiten Gang getrennte Betten. Nicht so toll für eine Hochzeitsreise! Dem Purser an der Rezeption gefiel wohl unsere Hochzeitsreise, sodass er uns einen Upgrade auf eine absolut luxuriöse Außenkabine mit Schreibtisch, Sofaecke und Doppelbett schenkte! 15698189_10154213754883404_7210778632948620301_nEr war der erste Empfänger unserer „Hochzeitshoniggläser“, die wir als Dankeschön für solche Gelegenheiten dabei haben. Bulgarischer Honig, in kleine Gläser gefüllt, mit Spitzendeckchen, Sisalschleife und einem „Danke“ Aufkleber, unserem Namen und Hochzeitsdatum versehen.
img_0656-kopieAm Morgen des Heilig Abend gab es ein riesiges Brunchbuffet auf der Fähre mit lauter Leckereien, richtig klasse! Den Tag verbrachten wir mit der Routenplanung und den Bedienungsanleitungen diverser neuer Spielzeuge. Ein erstes Video von Jans Helmkamera gibt es schon – leider baumelt das Kabel vom Heizvisier vor der Linse:
VIDEO (link: https://www.youtube.com/watch?v=EESyFaMO258&feature=share)
img_0460-kopieAbends gab es ein Weihnachtsfestbuffet mit noch mehr leckeren Sachen und alle Passagiere ließen es sich schmecken. „Alle“ Passagiere waren nicht wirklich viele, die Fähre war ziemlich leer, denn normalerweise fährt sie in einer Nacht nach Helsinki, jetzt dümpelten wir mit 16,6 Knoten in 2 Nächten über die Ostsee. Wir wissen bis heute nicht, warum, aber es war auf jeden Fall sehr entspannend!
img_0648-kopieDie Ankunft in Helsinki war unspektakulär: warme 7 Grad und ziemlich windig, fast zu warm für unsere Klamotten. Rechts und links der Straße hing zwar Eis an den Felsen, aber sonst war es wenig winterlich. Nach 90km fiel mir auf, dass Jans Vorderreifen etwas „luftleer“ aussah. Als ich ihn über unsere Sena Intercoms darauf ansprach, kam das gesamte Motorrad schon ins Schleudern und Jan schaffte es gerade so auf den Standstreifen. Reifen komplett platt! p1080209-kopieWeil wir nicht auf der Autobahn Reifen flicken wollten, kam der „Reifenpilot“ zum Einsatz, ein Spray, das einen klebrigen Schaum in den Schlauch sprüht und ihn gleichzeitig aufpumpt und abdichtet. Theoretisch. Ich hatte damit nach einer Begegnung mit einem rumänischem Nagel schon Erfolg und konnte 80km weit fahren, bei Jan jedoch quoll der Schaum einfach wieder aus dem Reifen heraus. Da war uns klar: da ist mehr als nur ein Loch!
img_0655-kopieSchon sichtbar war ein Schild, das auf ein Restaurant in etwa 1km abseits der Autobahn hinwies. Und da zeigte sich, wie toll es ist, dank der SENA Intercoms miteinander nicht nur kommunizieren zu können, sondern dies auch über eine große Reichweite! Jan rollerte mit seinem platten Vorderrad los, ich lief zurück zu Pet und musste erst wieder drauf klettern und kicken. Währenddessen hatte ich Jan nicht nur im Blick, sondern er mich auch quasi „im Ohr“. Ich bekam den Auftrag, doch bitte „mal eben schnell“ vor zu fahren, und nach dem Restaurant zu sehen. Die Reichweite unserer SENA Intercoms beträgt auf gerader Strecke und in der Ebene 1,6km. Und weil ich durch eine Senke und um eine Kurve zum Restaurant musste, war das gerade weit genug! Niemals würde ich mehr über eine geringere Reichweite nachdenken!
img_0660-kopieDie drei Damen vom Grillrestaurant am See waren so süß und herzlich, wir durften Tee und Kaffee umsonst haben und sie telefonierten alle möglichen Leute ab, um uns zu helfen. Doch an Weihnachten gab es nirgendwo Hilfe und auch der ADAC war nutzlos, denn der bot lediglich an, das Motorrad zur nächsten Werkstatt bei Helsinki (falsche Richtung!) zu schleppen und uns ein Mietwagenbudget von 52€/Tag zur Verfügung zu stellen. Dafür gibt es in Finnland wohl eher kein Auto und das Motorrad zurück nach Helsinki zu bringen war auch kontraproduktiv.
Währenddessen lud uns die Dame des Restaurants zu Pizza ein. Wir wollen uns eine teilen, durften wir aber nicht. Jeder bitte eine. Ich wollte Margarita, durfte ich aber auch nicht, ich sollte mindestens 4 Beläge auswählen! So süß! Die Frau konnte nur 3 Worte Englisch (wie übrigens alle, die wir im Laufe der Panne kennen lernten!) und bekam auch einen „Hochzeitshonig“ geschenkt.
p1080219-kopieWir waren ja unterwegs zu Jans Freunden Mika und Sanna – und die hatten ein Weihnachtswunder für uns parat: über 10 Ecken kannten sie einen ehemaligen Motocross GP Fahrer, der nur 15km von unserem Restaurant am See nicht nur einen neuen Schlauch für uns hatte, sondern auch eine blitzsaubere Werkstatt, in der er mit viel Spaß Hand anlegte. Der Schlauch aus Jans Reifen war unter den Reifenhalter festgeklemmt und hatte sich so gleich an mehreren Stellen dünn und löchrig gerieben. Flicken unmöglich, aber Tapani Nurmi hatte alles da! Er kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Motocross fahren und wollte gar nicht aufhören, an Jans Rad zu werkeln. Der neue Schlauch war drin. Hmmm… da fiel ihm ein, er könne ja Speichen spannen. Als das getan war, hmmmm… Bremsscheibe reinigen. Und dann… was könnte man noch so tun? Hmmmm… Felge putzen? Als er damit begann, unterbrachen wir ihn bei seiner Herzenangelegenheit, es wurde schon dunkel und die Frau unseres Retters sprang in rotem Samtkleid in die Werkstatt, um daran zu erinnern, dass Gäste eingeladen seien. Es war offensichtlich, wie gerne er uns aus der Patsche half und wie sehr er das Fahren vermisste!
Endlich ging es los, weiter Richtung Turku zu Mika und Sanna. Doch vorher mussten wir tanken. Die Tankstelle hatte wegen Weihnachten zwar zu, aber man konnte mit einem Automaten tanken. Idiotischerweise bot der zwar Deutsch als Sprache an, gab dann aber nur „Bitte warten“ von sich und der Rest war Finnisch. Wir schafften es, der Tanksäule für 30€ Benzin zu entlocken und kamen auf eisglitzernden Straßen bei Mika an, der schon die Holzofensauna für uns angeheizt hatte. Während wir bei herrlichem Holzfeuerduft schwitzten, bereitete Sanna das Weihnachtsessen zu.
Finnische Weihnachten gingen am nächsten Morgen mit einem sehr ausgiebigen Frühstück mit Lachs und herrlicher Weihnachtstorte weiter. Gegen halb eins haben wir es dann doch geschafft, aufzusitzen und die Motorräder zu starten.
img_0609-kopieEs ging durch „Sibirien für Anfänger“. Links Birkenwäldchen, rechts Birkenwäldchen. Gerne auch das selbe Panorama mit Kiefern. Oder gemischt. Dazu eine Landstraße, etwas erhöht über der Landschaft mit Schwarzerde. Ich war mehr als gelangweilt. Gerade, als ich dachte, der Unterschied zu Sibirien sei der, dass keine Fahrzeuge die Landschaft „dekorieren“, lag auch schon ein Auto auf dem Dach im Acker. Also wirklich „Sibirien für Anfänger“. Nur, dass es öfter Häuser gibt und die hier gemütlicher aussehen. (Ich habe vor 2 Jahren 7000km durch Sibirien auf einer Ténéré abgeritten und bin Anfang dieses Jahres mit der Trans-Sib von Vladivostok heim gefahren, ich kenne Sibirien also genug und zu jeder Jahreszeit..)
img_0671-kopieNach einer kleinen Kaffeepause mit Tanken ging es weiter, immer Richtung Norden. Wir wollten in einer Hütte am See übernachten und brauchten daher Lebensmittel. Gerade, als es anfing, heftig zu schneeregnen, tauchte rechts ein Einkaufszentrum auf, in das wir flüchteten und den Schneeregen zwischen Obst und Gemüse, Brot und Socken abwarteten. Dann ging es weiter, es war mittlerweile stockdunkel draußen, obwohl es erst 16 Uhr war. Die Straßen waren voll Schneematsch, was aber nicht weiter störte. Wir wollten zur „Route 66“, die ich zufällig auf der Karte entdeckt hatte und lustig fand, sodass wir das als Etappenziel geplant hatten.
img_0627-kopieDie letzten 40 der insgesamt 264km des Tages waren eisig, auf der Straße lag Schnee und Eis und Jan, der vor mir fuhr, zog eine Spur mit den Spikes. Erstaunlicherweise fuhr es sich trotz eigentlich für Motorräder gefährlicher Straßenverhältnisse nicht anders als auf einer fein geschotterten Piste. Schlaglöcher oder Spurrillen fahren sich ein wenig wie Tiefsand, die Kiste schaukelt kurz, aber das war’s dann auch. Im Dunkeln rollerten wir so durch das Eis und ließen uns vom Gegenverkehr mit Eis bewerfen. Das gefiel mir wesentlich besser als dieses „Anfänger-Sibirien“ zu Anfang der Tagesetappe!
img_0680-kopieGegen Abend liefen beide Mopeten schlecht. Jans Super Tenere musste mit „fröhlicher Gashand“ lebendig gehalten werden, die kleine Pet wollte sich auf den letzten 100m zur Hütte lieber schieben lassen, statt anzuspringen. Wir wissen nicht, woran es lag, jedenfalls haben wir den beiden ein Additiv von Putoline gefüttert und seit dem laufen und schnurren beide weiter fröhlich vor sich hin.
img_0577-kopieFür die Nacht mieteten wir uns eine Hütte (Finnisch: Mökki ) auf einer Insel in einem See etwa 60km nördlich von Tampere: mit Küche, Bad und eigener Sauna. Richtig Luxus! Nach einem Topf Spaghetti mit Tomatensauce haben wir die Sauna genutzt und zwischen den Saunagängen vor der Hütte abgedampft und dabei unter sternenklarem Himmel dem Eis des Sees beim Singen und Knacken zugehört. Der Tag war wieder viel zu schnell vorbei!
img_0610-kopieDie Dame der Hütte bot uns an, etwa 300km weiter nördlich eine Hütte bei Bekannten zu reservieren, natürlich mit Rabatt. Das Angebot nahmen wir gerne an und machten uns auf den eisigen Weg. Wir fuhren Nebenstraßen, die alle komplett vereist waren und in der Mitte Schnee auftürmten. Die Landschaft war in wunderschönes, weiches Sonnenlicht getaucht, überall Frost und darin Holzhäuser. Sibirien findet hier nur an der Haupstraße statt, die kleinsten Wege durch die Wälder sind wunderschön: See links, Hüttchen rechts – sogar Bushaltestellen sind niedliche blauweiße Bretterverschläge! Nach 45km Eisstraßen zogen wir Resümee: wenn auf eine Schotterstraße Schnee fällt und dieser zu Eis gefriert, fährt sich das unangenehmer, weil sich die Spurrillen im Schnee verbacken haben, Schlaglöcher und Rillen unterm Schnee versteckt sind und man nonstop Unruhe in der Kiste hat. Nicht weiter tragisch, wie wir Euch gerne im Video „Ups, da kam sie quer!“ zeigen, sobald unser Internet nicht das magere EU Roaming Datenvolumen auffrisst…
Auf Eisstraßen, die auf Asphalstraßen entstehen, sind die Spurrillen weniger ausgeprägt und auch sonstige „Unruhestifter“ seltener. Wir beschlossen, uns daher zukünftig auf zumindest im Sommer asphaltierte Straßen zu beschränken, soweit möglich.
img_0640-kopieEin Blick auf die Uhr zeigte: Eisstraßen kosten Zeit, denn das Fahrtempo pendelt sich bei 50-60km/h ein, auch dank vieler Kurven, die insbesondere mit Eisspurrillen das Tempo drosseln. Wir schwenkten auf die Europastraße ein – und da war Sibirien wieder! Waren wir am Vortag zwar auf meist größeren Straßen unterwegs, befanden wir uns plötzlich auf der Süd-Nord-Achse Finnlands – inmitten von LKWs und vielen Autos. Auch die „sibirische Straßendekoration“ der im Graben oder Feld liegenden Fahrzeuge war wieder da!
Jan hatte schon zuhause seine Schuhspikes vergessen, dann aber in Hamburg noch welche gekauft. Von diesen hatte er aber schon beim ersten Fotostopp wieder einen verloren, sodass er immer nur ein und denselben Fuß auf den Boden stellen durfte. Mit Schuhspikes zu fahren und zu laufen ist genial! Man traut sich zunächst kaum, einen eisigen Hang abwärts zu laufen, aber wie auch die Spikes im Reifen krallen sich die Metallhaken fest in den Untergrund und man hat festen Halt! Sehr wichtig, denn am Vorabend war trotz 40 Eiskilometern das Absteigen und die wenigen Schritte zur Hütte das Gefährlichste! Also suchten und fanden wir in einem Einkaufzentrum neue Schuhspikes für Jan und Zutaten für das Abendessen in der nächsten Hütte.
Der Weg dort hin war ein Dunkler, denn ab ca. 15:30 knipste die Sonne das Licht ganz aus und der Wind peitschte losen Schnee wie Sand über die Straße. Entgegenkommende LKW schüttelten zusätzlich den Schnee von den Bäumen, sodass wir gelegentlich in weißen Wolken fuhren. Da mir nicht kalt war, hätte sich das auch alles in der Wüste abspielen können: das ständig sanft vor sich hin tänzelnde Motorrad, der Sand – äh – Schneewirbel um uns herum, die schlechte Sicht durch Staub – pardon – Schnee,…
Unsere nächste Mökki wartete nach 312km auf uns und der super nette Vermieter hatte uns extra den Weg bis dorthin geschoben!
15780778_1330928816948872_1521319637372338878_nNach zwei Tagen Eis und Schnee kann ich schon sagen: eine DR350 lässt sich zwar schneller aus der Ruhe bringen wie meine alte DR800, mit der ich früher im Winter unterwegs war, jedoch bietet sie weniger Angriffsfläche für „LKW Windattacken“ und schiebt weniger übers Vorderrad oder seitwärts, wenn die Wege hier zum Rand hin abschüssig sind. Da man hier sowieso nur 80km/h fahren darf und auf Eisstraßen Tempo Nebensache ist, bin ich richtig glücklich mit der kleinen Pet!
Jeden Nachmittag lässt bei uns beiden das körpereigene Heizkraftwerk nach und trotz gleichbleibender Temperatur kommen dann unsere elektronisch Heizhelferlein zum Einsatz. Unter Dauerfeuer sind ab dem ersten Meter jeden Tag unsere beheizten Schuhsohlen, die einfach mit kaum spürbarer Wärme nur dafür sorgen, dass die Füße nicht auskühlen. Einen großen Unterschied merken wir jedoch, wenn über die Stiefel die Neopren Überziehstiefel kommen. Diese isolieren sagenhaft und sind ein großer Komfortgewinn!

Demnächst ganz sicher mehr Fotos und Videos! Wir sind selbst genervt vom mangelnden Internet, da wir das zur Streckenplanung gerne nutzen würden. Die Finnen haben nämlich eine tolle Webseite, auf der die Straßenverhältnisse mit Webcams in Echtzeit zu sehen sind: http://liikennetilanne.liikennevirasto.fi/?view=drivingConditionView