Am frühen Morgen nach dem Nordkap gingen wir um 5:45 an Bord der „Finnmarken“, einem der vielen Schiffe der Hurtigruten. Von der Jugendherberge zum Schiff sollten unsere vorerst letzten Meter bei Minusgraden und tief vereist-verschneiten Straßen sein.

p1080317-kopieGegen Mittag legte die „Finnmarken“ in Hammerfest an, wo wir gute zwei Stunden Zeit hatten, um die nördlichste Stadt der Welt kennen zu lernen. Ein ruhiges Städtchen, das wohl bei jeder Ankunft eines Schiffes regelrecht „überfallen“ wird und außer der Ausstellung der „Polar Bear Society“ auch nicht wirklich viel zu bieten hat.img_1017-kopie Die Ausstellung zeigt nicht nur Eisbären, sondern auch Interessantes aus der Zeit der Robbenfänger und Polarexpeditionen. Man kann auch Mitglied im „Eisbärenclub“, dem nördlichstem Club der Welt werden, jedoch schaffte es mir keiner, zu erklären, was man davon hat. Statt zur „Aufnahmezeremonie“ gingen wir in den Supermarkt, um alles für ein Picknick an Bord zu besorgen: Rentiersalami, Trockenfisch und Lakritze.img_1043-kopie

Die Zeit an Bord verging recht schnell und schon war es wieder dunkel und wir kamen in Oeksfjord an, wo nur wir von Bord gingen. Der einzig verfügbare Campingplatz im 50km Umkreis hatte uns am Tag zuvor mitgeteilt, dass er geschlossen habe und so mussten wir bei strengem Küstenwind im Dunkeln bei ungewohnt warmen Temperaturen knapp über Null noch 140km zur nächsten verfügbaren Unterkunft fahren. Von der als so schön angepriesenen norwegischen Küste sahen wir natürlich: nichts. Im Internet sahen wir, wie viel Glück wir hatten, dass wir das Nordkap erreicht hatten! Die Straßen waren mittlerweile wegen des Wetters alle gesperrt und noch nicht einmal im Konvoi zu schaffen!img_0906-kopie

Am nächsten Morgen war ich ganz gespannt, was es zu sehen gäbe, wenn sich die Dunkelheit aufhellt. Ich sah jedoch zunächst nur mein Thermometer, das 4°C anzeigte und ich sah die Straße, die anfing, zu tauen. Als es gegen 11 Uhr so hell wurde, dass man die Landschaft sehen konnte, war ich enttäuscht. Ich hatte immer gedacht, die norwegische Küste sei dramatisch schön und mit vereinzelten roten Holzhäusern „dekoriert“. Stattdessen sah ich zersiedelte Küste mit grauen, weißen und blauen Holzhäusern, manche auch gelb oder orange. Nur Schuppen, Gartenhäuser, Garagen und Ruinen waren rot! Der Schnee war matschig, graubraune Pampe überall, es taute und tropfte und der Wind blies heftig von der Seite, sodass es manchmal schwer war, die Spur zu halten.

Das Fahren in der Pampe und im grauen Siff machte gar keinen Spaß, wir kamen zwar gut vorwärts Richtung Süden, aber schön war das alles nicht. Bei Tromsö ging es ab in Richtung Kiruna, wie gerne wäre ich dort abgebogen, zurück ins Eis, zurück in den weißen Schnee, zurück in die Kälte! Irgendwie war die Luft raus, die norwegische Küste hatte mich auf fast 500km enttäuscht, das Wetter war eklig, das Fahren langweilig und nervig wegen des starken Windes. Ich vermisste die karge, lebensfeindliche Eiswüste des hohen Nordens, die klirrende Kälte, die Schnee- und Eispisten, die einsame Natur, in der es nur ab und zu ein Rentier gab statt alle paar Meter ein (nicht rotes) Holzhaus…

img_0887-kopieAls es schon wieder dunkel war, fing es zu allem Übel auch noch an zu regnen und die Straßen verwandelten sich in Schmierseife. Jan zog einen weiß schaumigen Streifen hinter sich her, der Wind peitschte den Regen auf den Schnee, es war die Hölle! Dann überholten wir auch noch einen Schneepflug, der massenhaft Salz auf die Straße kippte, kein Wunder, dass wir in Schmierseife fuhren! Warum taten die das? Noch nie hatten wir auf unserer Reise jemanden Salz streuen gesehen! Was eine Sappsch! Nach 322km fanden wir eine kleine (rote!) Hütte direkt am Meer am Beginn der Lofoten. Es ist wirklich schwer, zu dieser Jahreszeit Unterkunft zu finden, denn die meisten haben geschlossen oder sind lange im Voraus ausgebucht!

Die Hütte war super süß mit einem Matratzenlager direkt unterm Dach, sehr kuschelig! Ich dachte beim Einschlafen über die Worte eines Motorradfahrers nach, der mich unterwegs angesprochen hatte: „Ich sollte auch im Winter fahren, im Sommer ist das hier wegen den ganzen Touristen kaum möglich!“. Wie mag es hier erst im Sommer zugehen, wenn Lindwürmer aus Wohnmobilen und Motorrädern sich die Küste entlang winden? Das möchte ich eigentlich gar nicht wissen…

Die ganze Nacht stürmte es und der Regen peitschte auf das Dach, unter dem wir schliefen. Es war Samstag und so gab es unser traditionelles Wochenendfrühstück mit Rührei, Lachs, Orangensaft und Brötchen, bevor wir uns vor die Tür ins Ekelwetter wagten. Der Schneeregen trommelte und peitschte auf den Helm, das Thermometer zeigte weiterhin 4°C, alles war nass und auf der Straße lag immer noch schaumige Schmierseife. Weil wir auf einer Nebenstraße unterwegs waren, fuhren wir Richtung Europastraße, in der Hoffnung, dort bessere Straßenverhältnisse vorzufinden. Weit gefehlt, dort sah es genauso aus. Mit dem Unterschied, dass uns entgegenkommende LKW den Matsch auch noch entgegen warfen.

img_0894-kopieAch ja, die Lofoten sollen ja auch wunderschön sein. Deswegen waren wir ja da. Aber gesehen haben wir davon nichts. Immerhin könnte ich mir vorstellen, dass es auch tatsächlich schön dort ist, denn zumindest war es dort nicht so zersiedelt wie an der Küste. Ein einziges Mal hörte es für etwa 5 Minuten auf, zu schütten, sodass man auch kurz etwas sehen konnte und Jan einige wenige Fotos schoss. Die ersten seit 2 Tagen – die Fotoausrüstung wäre sonst innerhalb von Sekunden abgesoffen.

img_0895-kopieGegen 14 Uhr kamen wie in Svolvaer an, wo wir die Zeit bis zur Ankunft der Hurtigrute in einem Einkaufszentrum absaßen, bevor wir uns mit einer Pizza für die nächste Etappe der Hurtigrute stärkten. Weil uns zwei Norweger unabhängig voneinander gesagt hatten, es könne sein, dass wegen des Sturmes das Schiff gar nicht anlegte, verfolgten wir mit einem Auge „unser“ Schiff, die „Polarlys“ auf dem Handybildschirm. Als sie „auf dem Bildschirm“ anlegte, standen wir von unserer Pizza auf und fuhren an Bord. Dort wurden wir schon begrüßt, denn die Passagiere des Schiffes waren genau jene, mit denen wir am 4.1. am Nordkap gewesen waren! Wir erfuhren auch, dass wegen des Sturmes der nächste Hafen ausfiel und auch unser Zielhafen, Bronnoysund, eventuell nicht angefahren werden würde.

p1080357-kopieWir fielen wie die Steine ins Bett, hatten wir doch 179km Kampf hinter uns. Kampf im Sturm, in Schneematsch und Regen, nie wissend, von welcher Seite der Sturm einen hinter der nächsten Kurve, hinter dem nächsten unsichtbaren Berg anfällt und versucht, im Schneematsch auf die Gegenfahrbahn zu werfen. Der Sturm ging zwar weiter, aber wir schliefen tief und fest, erst am Morgen merkten wir, dass es Richtung Badezimmer steil bergab ging und ich in der Dusche an die Wand gedrückt und vom Duschvorhang gefangen genommen wurde. Was ein Wetter!

img_1063-kopieNach dem traumhaftem Frühstück überquerten wir den Polarkreis und es gab dazu eine kleine Zeremonie an Deck, zu der Tran gereicht wurde. Jan trank das Zeug und bekam einen schönen Löffel mit Polarkreis-Gravur geschenkt. img_1068-kopieWir beide bekamen Zertifikate ausgestellt. Ganz unkompliziert, kostenlos und ohne Warteschlange, wie beim Polarkreis in Rovaniemi, wo gefühlt alle 6 Reisebusse voll Touristen aus Fernost für das Zertifikat gegen Bares Schlange standen.

img_1074-kopieDie folgenden Stunden verbrachten wir auf Deck 7, dem höchsten Deck, und beobachteten durch die Panoramafenster, wie sich das Schiff in Segelschiff-Schräglage durch die aufgepeitschte See kämpfte. Besser an Bord eines Schiffes als auf dem Motorrad! Einmal preschte ein Seenot-Rettungskreuzer uns entgegen, der Sturm war das windigste, was wir beide jemals an Bord eines Schiffes erlebt haben. Später lasen wir in den Nachrichten: Sturm „Gudrun“ war ein Orkan, hatte in Norwegen Schäden in Millionenhöhe angerichtet, die Stromversorgung lahm gelegt, Fahrzeuge umgekippt und sonstiges Unwesen getrieben.Ein Video vom aufgewühlten Meer gibt es hier: https://youtu.be/VBgtjd0EFG8

Am Nachmittag schauten wir uns im „Belustigungsprogramm“ für die Kreuzfahrtgäste einen Dokumentarfilm über Roald Amundsen an. Während des Films wurde angesagt, dass unser Zielhafen, Brønnoysund, auch nicht angelaufen werden konnte. Wir wurden ausgerufen und zogen dann einen weiteren „Honeymoon-Joker“: Der nächste Hafen, an dem angelegt werden konnte, habe keine Übernachtungsmöglichkeiten und das Hurtigrutenschiff, das dort in der Gegenrichtung zeitgleich ankere, könne zwar uns als Passagiere mitnehmen, habe jedoch keinen Platz für unsere Motorräder. Da wir ja sowieso nach Oslo müssten, habe man sich gedacht, uns die Weiterfahrt bis Trondheim anzubieten, inklusive Captain’s Dinner, Kabinenupgrade, Internetzugang und Luxusfrühstück! Insgeheim hatten wir genau darauf gehofft und bemühten uns schwer, uns völlig überrascht zu zeigen und erst nach ein paar „beratenden Worten“ das Angebot anzunehmen…

img_0899-kopieSo nahmen wir dann am edlen Captain’s Dinner teil, das praktischerweise in der Zeitspanne serviert wurde, in der das Schiff im ersten und einzigen Hafen des Tages vor Anker lag und uns daher die Leckereien nicht vom Besteck springen konnten. Kaum war das Schiff wieder ausgelaufen, ging die Schaukelei in harten Schlägen wieder los, das Schiff wurde so durchgerüttelt, dass ich im Schlaf immer wieder wach wurde, weil alles schlug und rumpelte. Der Kapitän hatte beim Dinner erklärt, dass es Windstärken bis 72 Knoten (133km/h) habe und es sich beim Sturm um einen Orkan handele, durch den sich die „Polarlys“ den ganzen Tag kämpfte.

Als wir am nächsten Morgen aufwachten, lag das Schiff schon in Trondheim am Kai und wir konnten ohne Balanceakt das riesige Frühstücksbuffet in aller Ruhe genießen, bevor wir unsere durchgeschüttelten Motorräder im Bauch des Schiffes wieder begrüßen konnten. Wir hatten sie gut vertäut, denn den Kampf mit dem Sturm hatten wir schließlich schon vor dem Einschiffen stundenlang gekämpft!

„Gudrun“ brachte nicht nur Regen mit sich, sondern auch sommerliche Temperaturen, sodass wir bei 4°C durch Trondheim rollten. Wir waren über Nacht im Schlaf eine ganze Tagesetappe weiter nach Süden geschippert und hatten nun einen Tag gewonnen. Den wollten wir im Winter genießen und nicht im Wetterchaos, das „Gudrun“ hinterlassen hatte. Einige unserer ursprünglich geplanten Straßen waren sowieso wegen Erdrutschen und Lawinen gesperrt, also sind wir Richtung schwedische Grenze, wo laut Wettervorhersage noch Winter war. Nach mehreren tausend Kilometern auf Eis- und Schneedecke waren die 30km auf Asphalt bis zur Bergstraße ziemlich komisch, Pet und ich waren froh, wieder gewohnten Untergrund unter die Stollenspikes zu bekommen, als es Richtung Skigebiete ging.

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Unser Ziel war Røros, ein Städtchen, das komplett unter Unesco Weltkulturerbe Schutz steht. Das Örtchen ist so süß! Und weil es nur eine kleine Tagesetappe von Trondheim entfernt liegt, hatten wir genug Zeit, ausgiebig durch die Straßen und Gassen zu streunern und den romantischen Ortskern zu genießen! Das beruhigt die Seele! Hatte sich uns doch bisher keine einzige Schönheit Norwegens offenbart, so war Røros genau das, was uns für „Gudruns Mistwetter“ an der Küste entschädigte!

Wohin es weiter geht? Das wissen wir noch nicht. Auf keinen Fall zurück in die Fänge von „Gudrun“ und so lange wie möglich fern von Asphalt!