Endlich haben wir „echtes Internet“! Mein kleiner Laptop hat zu allem Übel dann auch versucht, sich das Leben zu nehmen, aber dank Bernd tut er zumindest diese Reise noch! Ich war ganz traurig, ich habe die Texte hier meist fertig im Kopf und wenn dann keine Tastatur da ist, um sie runter zu schreiben… Aber nun tut mein kleiner Reisegefährte wieder als bessere Schreibmaschine und ich bin froh – und Ihr habt was zu lesen! 🙂
Wir haben noch Nachholbedarf im Erzählen. Und im Nachreichen von Videos. Hier ist das Video zum letzten Post, was ich mit „Oops, da kam sie grad quer“ betitelt habe. Das war vor rund 750km weiter südlich, als es noch nicht ganz so winterlich war:

Hier der Link für alle, die das Video nicht angezeigt bekommen: https://www.youtube.com/watch?v=HE2uZsQmdh8

Unser Equipment von Sena (C10 und Prism Actioncam) ist Gold wert! Damit kann man so schöne Videos machen und sich jederzeit absolut klar unterhalten!

Mittwoch ging es noch vor Sonnenuntergang los. Das klingt jetzt nach sehr früh, aber es war 10:15 🙂
img_0658-kopieDie Tagesetappe für Mittwoch war etwas über 200km lang und die ersten 100km entschieden wir uns für die Europastraße Richtung Oulu. Man kommt da zwar schnell vorwärts, aber mit Sibirien haben wir’s ja beide nicht so. Also weiter auf Nebenstraßen die Diretissima nach Rovaniemi.
img_0680-kopieUnterwegs muss halt doch irgendwann der Frühstückstee raus und weil es im Helm so schön muckelig warm ist, habe ich den beim Ausflug in den Tiefschnee des Waldes aufgelassen. Schön doof! Jeder Atemzug eine Eisschicht auf dem aufgeklapptem Visier! Bei -10 Grad keine gute Idee… Jetzt musste das Heizvisier des Nolan N104 zeigen, was es kann! Und tatsächlich: die Eisschicht wurde immer dünner und bald schon konnte ich wieder durch das Visier schauen, statt mit tränenden Augen und beißendem Wind auf den Wangen mit offenem Visier zu fahren. Jans Heizvisier tut zur Zeit nicht, er kratzt fleißig Eis 🙂
Mein Sensor für die Lufttemperaturanzeige war irgendwie unter der Lampenmaske eingeklemmt und zeigte falsch an. Bei einer kleinen Schraubersession am Straßenrand haben wir den Sensor aus seiner misslichen Lage befreit und mein Thermometer zeigte wieder richtig an.
An der Tankstelle gab es beheizte Glasschränke, die wie riesige Kühlschränke aussehen. Da drin stehen Eimer und Kannen mit Kühl- und Wischwasser. Toll, dachte ich – und fing an, meine Windshield zu wischen. Doofe Idee, bei -10 Grad friert das Wischwasser fest, bevor man es mit der Gummilippe wieder abziehen kann…
img_0699-kopieAuch beim Kettefetten zeigte sich die Minustemperatur. Eigentlich dachte ich, die Kette sei nach rund 80km konstanter Fahrt warm, aber beim Einsprühen merkte ich: selbst wenn die Kette wärmer ist als die Umgebungstemperatur, so heißt das nicht, dass es warm genug ist! Natürlich erstarrte das gute Putoline Kettenfett sofort dort, wo es auf der Kette auftraf. Also ganz nah ran mit der Sprühtülle und ordentlich mit Druck drauf halten.
Nach der Kaffeepause dachte ich beim Losfahren, mein Thermometer sei nun wirklich kaputt. Es zählte im freien Fall abwärts: -14, -16, -18 Grad. Gut, dass wir die Sena Intercoms haben! Ich erzählte Jan von meinem kaputten Thermometer, woraufhin er auf seins schaute und nur meinte: „hier muss ein Kälteloch sein!“. Es war wirklich so kalt – und blieb es auch den Rest des Tages. Wenn man den Windchill mitberechnet, so fuhren wir bei 80km/h und -18 Grad in einer gefühlten Temperatur von ca. -48 Grad herum! Und außer, dass wir die Heizwesten auf Stufe 2 stellen mussten, haben wir in unseren Klamotten nichts bemerkt. Nur das Helmvisier sollte man geschlossen halten, denn der Wind beißt… Den Windchill kann man hier schön ausrechnen: http://www.explorermagazin.de/chilrech.htm
p1080242-kopieIrgendwann fing Jans Super Tenere an, wilde Zündaussetzer zu haben und laut knallend und Flammen spuckend durch eine verträumte Winterlandschaft zu lärmen. Es wurde immer schlimmer und schließlich hielten wir an. Das Problem entstand, weil bei jeder Erschütterung der Batterie die Zündung aussetzte. Warum, das war am Straßenrand bei -18 Grad erstmal egal. Ein Stück Pappe unter der Batterie fixierte das Ganze bis zur nächsten Unterkunft, einem „Holzhotel“ in Pudasjärvi, das für 55€ ein luxuriöses Apartment bot. Jan fand davor auch eine helle Straßenlaterne zur Fehlersuche. Dank Jans akkubetriebener Heizweste fand das nur ein Finne zu kalt zum Schrauben, Jan selbst kam nach 2 Stunden fröhlich ins Zimmer und hielt ein Kabel in der Hand. Das Kabel von Batterie zum Anlasserrelais, an welchem die Hauptsicherung hängt, war durchvibriert und sorgte für die Zündaussetzer! Jan konnte das Kabel tauschen und seitdem knallt und feuert auch keiner mehr im finnischen Wald…
Am nächsten Morgen sorgte ein verbranntes Toast im Toaster für Action, weil es den Feuermelder auslöste. Als ich samt rauchendem Toaster barfuß auf den Balkon sprang, dachte ich, dass es irgendwie warm sei. Als wir eine Stunde später los fuhren, zeigte mein Thermometer auch tatsächlich 0,5 Grad plus an! Ein Temperatursprung von fast 20 Grad über Nacht!
img_0694-kopieWir blieben auf der direkten Verbindung nach Rovaniemi, die Straße war pures Eis, das vom Schneepflug in Rillen gezogen war. Das fährt sich weiterhin wie ein Sandweg, ganz entspannt, solange man die kleine Pet unter sich ihr Eigenleben machen lässt.
Unterwegs im einzigen Ort der Route bin ich mit den Metallspikes auf dem schneenassen gekachelten Boden im Supermarkt ausgerutscht, habe mir dabei das rechte Knie verdreht und das Handgelenk der Gashand weh getan. Und da sage Mal einer, Motorradfahren sei gefährlich! Seit über 1000 Winterkilometern kein Sturz – und dann beim Teebeutelkaufen im Supermarkt!

img_0735-kopieIrgendwie schaffe ich heute kein zweites Mal, ein Video hier einzubinden, also müsst Ihr auf den Link hier klicken, um zu sehen, wie es ist, wenn man im Winter zum Polarkreis fährt:
https://www.youtube.com/watch?v=trapVQourhc

Wir fuhren sofort zum Polarkreis bei mittlerweile wieder -4 Grad und machten Fotos, solange es noch hell war. Donnerstag war Sonnenaufgang ca. um 10:30 und Untergang schon gegen 13:30. Zum Fahren egal, da ist genug Licht am Fahrrad, aber zum Fotografieren und Filmen bleibt uns immer weniger Zeit.

img_0731-kopieAm Polarkreis wohnt auch der Weihnachtsmann. Und das ist auch das einzig Gute dort, denn außer dem Weihnachtsmann selbst kommt dort alles aus Fernost: Souvenirs, Kitsch, Krempel und Kommerz – und auch die Gäste. Nichts, aber auch nichts kommt auch nur annäherungsweise aus Europa! Ein furchtbarer Trubel, vor dem Dorf standen gleich 7 Busse mit Gästen aus Fernost. Ich möchte gar nicht wissen, wie das dort im Sommer aussieht, wenn auch noch Wohnmobilisten, Motorradfahrer und Sommerurlauber dort sind! Absolute Katastrophe!

img_0705-kopieAber der Weihnachtsmann war es wert. Es fällt auch als Erwachsener schwer, nach einem Treffen mit dem Weihnachtsmann nicht an ihn zu glauben. Wir waren beide völlig beeindruckt und verwirrt. Aber im Grunde war das ja eigentlich nur der Beweis, dass es ihn wirklich gibt! Der Weihnachtsmann empfing uns auf Deutsch (woher wusste er das?), plauderte mit uns über die weite Reise, fragte, ob wir eine BMW hätten und hatte so gütige Augen und eine so unglaubliche Aura, dass man zu keinem anderen Schluss kommen kann außer: „der war echt!“
An der gegenüberliegenden Tankstelle ging der Trubel weiter, der Tankwart jedoch war super nett und erzählte, im Winter kommen viele Skidoofahrer, aber keine Motorradfahrer! Und da bog eine Wilde Meute Skidoofahrer um die Ecke! Im Drift und ein paar Donuts drehend, mein Herz ging auf – das wollte ich auch! Als die Jungs ihre Helme absetzen, realisierte ich: die waren halb so alt wie ich und würde eine Oma wie mich niemals fahren lassen! Schade, aber das steht auf jeden Fall auf meiner Agenda! Beim Kaffeestopp bewunderten wir die Ausrüstung zweier Skidoofahrer am Nebentisch: blöd, dass es den ganzen Kam bei uns nicht gibt! Unsere Ausrüstung ist toll, aber nicht einfach gewesen, zusammen zu suchen!
img_0733-kopieWas wir bei unserer spontanen Routenplanung nach Rovaniemi nicht bedacht hatten: es ist Hauptsaison und alle Unterkünfte voll! Jan hatte am Vorabend einige Gästehäuser, Hostels und Hotels abtelefoniert, aber entweder war alles voll oder ab 250€ pro Nacht.

img_0724-kopieIch weiß nicht, wie es Jan geschafft hat, aber wir bekamen für 130€ ein komfortables und geschmackvoll renoviertes Zimmer in einem ehemaligen Krankenhaus, dazu ein Frühstück im Vier Sterne Hotel und eine ganze Flasche Sekt in der 4 Sterne Bar umsonst! Wir wissen bis heute nicht, wie wir zu dem Luxus kommen konnten, sind aber glücklich. Nur eine ganze Flasche Sekt war dann doch zu viel – und das Pärchen am Nebentisch musste noch fahren…
img_0726-kopieIn Rovaniemi kamen wir dann in den „Genuss“ des schlechtesten Essens unseres Lebens. Allein der Gedanke daran ekelt schon! Die Stadt voll, in keinem Restaurant ein Tisch frei. Also haben wir eine Döner- und Pizzabude beehrt. Jan bestellte Pizza mit Schinken und Pilzen, ich einen Dönerteller mit Pommes. Was kam war das Ergebnis von Industriefraß und Billigmentalität: die Pizza enthielt Kunstkäse mit einem Etwas, was Schinken genannt wurde, aber nur eine rosarote Masse in Hackschnitzeln war. Konsistenz: mehlig. Geschmack: eklig. Mein Döner bestand aus dem gleichen Zeug, nur in brauner statt roter Farbe. Wir ließen den Industriefraß stehen und verzogen uns auf unser Zimmer, wo ich noch eine „Notreserve“ Weihnachtsplätzchen hervor zauberte. Wir wissen beide nicht, ob wir jemals schon volle Teller haben stehen lassen, aber das Zeug hatte mit Lebensmittel nichts zu tun!
img_0737-kopieFreitag ging es nach einem ausgiebigen und luxuriösen Frühstück im 4 Sterne Hotel weiter gen Norden. Die ersten 30km rollten sich auf Eisstraße entspannt dahin, dann begann es zu schneien. Immer heftiger fielen die Flocken. Immerhin war es annähernd hell, denn wir waren vor Sonnenaufgang gestartet. So konnten wir das Dilemma, das sich vor unseren Vorderrädern ausbreitete, also genau sehen: Der Schnee blieb in einer Schicht liegen, die alle Spurrillen im Eis unsichtbar machte und für viele Überraschungen sorgte! Eigentlich fahren sich auch solche Straßenverhältnisse nur wie eine sandige Piste. Nur, dass die Spurrillen einfach nicht nachgeben und man sich durch die Pendelei unter dem Hintern in die Wüste versetzt fühlt. Eis- und Schneewüste halt.
img_0742-kopieDann fing es an, zu regnen. Der Boden hatte immer noch schöne Minusgrade, die Luft darüber schwankte zwischen ein und zwei Grad. Was das für Straßenverhältnisse gibt, könnt Ihr Euch vorstellen: Regen auf Schnee über Eis…

Hier das Video zum heutigen Tag, leider schaffe ich das mit der Einbindung heute irgendwie nur 1x, aber Ihr könnt ja auf den Link klicken:

https://www.youtube.com/watch?v=QZy_rwRULTg&feature=youtu.be 

Nach etwa 100km hörte der Spuk mit dem Zeug, was hier alles so vom Himmel fallen kann, wieder auf und wir erreichten die Grenze zu Schweden bei Pello. Es war, als wären wir erst das zweite Fahrzeug des Tages, das die Grenze passierte, denn der Schnee zwischen den Grenzhäuschen war sehr tief und fast unberührt. Es fuhr sich wie tiefer Sand in zu geringem Tempo. Die folgenden 3km blieben so schlingerich, dann war der Übergang von Finnland nach Schweden geschafft und es fühlte sich auch irgendeine Straßenwacht wieder zuständig. Der heftige frische Schneefall war frisch gefräst und so rollten wir recht entspannt weiter bis Junosuando, einem 375 Seelen Dorf, 230km von Rovaniemi entfernt, mit einem Traum von Guesthouse!

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Ein Schwedisch-Kanadisches Paar hat ein typisches Holzhaus mit wahnsinnig viel Liebe hergerichtet, sodass man sich sofort wie in Bullerbü fühlt! Wir haben, glaube ich, vor lauter Begeisterung alles fotografiert. Das Beste ist das Zimmer, in dem ein mit herrlich duftenden Pepparkaker geschmückter Weihnachtsbaum wie aus dem Bilderbuch stand! Wir waren froh, durch die Zeitumstellung zwischen Finnland und Schweden eine Stunde Zeit für dieses Kleinod gewonnen zu haben! Gefunden haben wir das übrigens über Airbnb, kosten tut uns das Stück schwedische Holzhausromantik 67€.

img_07352-kopieWir sitzen nun gemütlich vorm lodernden Kaminfeuer, morgen geht es bis Kiruna ins Eishotel. Dort gibt es zwar ganz sicher Internet, aber da das Sortieren der Fotos, das Tippen der Texte und das Schneiden der Videos immer sehr zeitintensiv ist, wird es eine kleine Pause geben. Denn schließlich ist die Übernachtung im Eishotel unsere „Hochzeitsnacht“!